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Nina Scheer & Karl Lauterbach

© Werner Schüring

Fragebogen der AG Migration und Vielfalt an die Kandidierenden zum SPD-Parteivorsitz

SPD – eine Partei im Reformmodus

Seit 2009 befindet sich die SPD permanent in der Diskussion um Parteireformen. Essentiell hat sich an unseren Strukturen jedoch wenig getan: beispielswiese wurde der Parteivorstand verkleinert und wieder vergrößert, das Präsidium wurde abgeschafft und dann wieder eingeführt oder der Parteikonvent wurde etabliert und tagt schon eine längere Zeit nicht mehr. Parallel gibt es immer wieder Diskussionen über die Arbeitsgemeinschaften ohne irgendein Ergebnis. Wir sind der Meinung, dass die Kandidierenden auch mit konkreten Forderungen zu Strukturänderungen auch eine Legitimation für ihre Vorstellungen holen sollten. Was sind Eure Vorstellungen zur Parteireform, insbesondere mit Blick auf folgende Fragen?

Welche Rolle haben die Arbeitsgemeinschaften für Euch?

Arbeitsgemeinschaften leisten unverzichtbare Arbeit für unsere Partei. Sie sind wichtiger Impulsgeber in der politischen Positionsfindung und ermöglichen die gezielte Mitarbeit an bestimmten Themenbereichen. Damit beleben sie unser Parteileben. Außerdem fungieren sie als Einstiegspunkt für interessierte Bürgerinnen und Bürger, die noch nicht Mitglied der SPD sind.

Sollten die Arbeitsgemeinschaften eigene Delegierte beim Bundesparteitag bekommen?

Ja, es sollten Delegiertenkontingente für Arbeitsgemeinschaften geschaffen werden, damit die thematische Arbeit nicht einfach versandet.

Was haltet Ihr von der Idee, den Arbeitsgemeinschaften ein Mitspracherecht in der Antragskommission zu gewähren, um unnötige Diskussionen vorab zu klären?

Wir unterstützen das. Das Antragsrecht sollte so ausgestaltet werden, dass bei einer gewissen Anzahl von Anträgen von Arbeitsgemeinschaften als auch von Gliederungen eine Antragsberatung stattfindet.

Wie wollt Ihr es hinbekommen, dass die relevanten Akteure in den verschiedenen Themenfeldern (von den Arbeitsgemeinschaften bis zu Bundestagsfraktion) zentral orchestriert werden, um mit geteilten Rollen mehr sozialdemokratische Inhalte durchzusetzen?

Das Willy-Brandt-Haus muss personell und logistisch wieder eine e?ektive Schaltzentrale und Denkfabrik sein, die das große Potential an Wissen und Erfahrung der Mitglieder bündelt, in Strategie gießt und Politik formuliert. Monatliche Mitarbeiterrunden sollen die Erfahrungen und Anregungen der MitarbeiterInnen besser einbinden.

Wie wollt Ihr die inhaltlichen Debatten in der SPD und die Mitgliederbeteiligung stärken? Was sind Eure Ideen hierzu vom Bundesparteitag bis zu Mitgliederbegehren?

Grundsätzlich brauchen wir mehr direkte Diskussion zwischen Mitgliedern und Parteispitze im Rahmen von Mitgliederforen, regelmäßigen themenbezogenen Regionalkonferenzen und auch Parteitagen mit mehr Raum für inhaltliche Debatten. Gerne vereinzelt auch online. Die Erfahrung und das Wissen der Mitglieder muss transparenter werden und kann durch den Einsatz digitaler Tools allen Mitgliedern auf einer Beteiligungsplattform zur Verfügung stehen. Eine Datenbank speichert politische Ideen und Projekte als zentrales Antragsbuch und wird allen Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Somit könnten wir Doppelstrukturen vermeiden. Mehr Kontakt innerhalb der Partei können wir auch schaffen durch Chats oder Videokonferenzen als Ergänzung zu Konferenzen vor Ort. Über dies müssen wir die Beteiligungsmöglichkeiten stärker an der Lebensrealität der Mitglieder orientieren. Ein erster Schritt dazu wird unser Mitgliedermonitor sein, der kostensparend, aber repräsentativ, einmal im Monat das Stimmungsbild innerhalb der Ortsvereine einfasst. Ein zweiter Schritt besteht darin, die Satzung im Paragraph 13 zum Mitgliederentscheid zu ändern: Ein Mitgliederbegehren sollte geringere Hürden haben. Wir werden daher die Frist zum Begehren von drei auf sechs Monate verlängern und die Zahl der notwendigen Mitglieder von 10 auf 3 Prozent senken. Da dies immer noch einer Zahl von gegenwärtig circa 13.000 Mitgliedern entspricht, empfehlen wir ein Mitgliederbegehren auch auf gemeinsamen Antrag von mindestens 25 Ortsvereinen. Der Parteivorstand soll weder auf Parteitagen noch auf Parteikonventen stimmberechtigt sein, da sonst die Abstimmungen verzerrt werden. Leitanträge des Parteivorstandes sollten mehr die Vielfalt an Positionen aus den Anträgen der Basis zur Diskussion stellen, als den Vorschlag des Konsenses zu unterbreiten. Wir plädieren zum für das Mitgliederprinzip in der Kandidatenaufstellung deutschlandweit. Bisher hat sich das Mitgliederprinzip bei der Aufstellung von Wahlkreiskandidaten noch nicht ?ächendeckend durchgesetzt. Auf Einwände, dass dies doch viel zu teuer sei, können wir nur mit einem Kopfschütteln reagieren. Aufstellungsversammlungen, zu denen alle Mitglieder eingeladen und abstimmungsberechtigt sind, sind nicht aufwendiger als Delegiertenversammlungen. Und natürlich: familienfreundlichere Sitzungszeiten und aktive Einbindung von Kinderbetreuung.

SPD – die Volkspartei, die die ganze Gesellschaft repräsentiert

Jünger, weiblicher UND vielfältiger. Das war eines der oft formulierten Forderungen nach den letzten Wahldebakeln. Denn eine Volkspartei muss die Breite der gesamten Gesellschaft repräsentieren, will sie Volkspartei bleiben. Konkret tat sich bisher jedoch wenig. Der Parteivorstand gab sich eine Zielmarke von 15% Mitgliedern mit Einwanderungsgeschichte in Bundesgremien, welche nie erreicht wurde. Die Bundesregierung ist ziemlich komplett ohne Einwanderungsgeschichte. Was sind Eure Ideen, um die gesamte Vielfalt in der Gesellschaft besser zu repräsentieren, gerade in Bezug auf folgende Fragestellungen?

Welchen Stellenwert hat für Euch in der Parteiarbeit die interkulturelle Öffnung?

Wenn wir wollen, dass sich die Gesellschaft in unserem Land interkulturell weiter öffnet, dann muss das ganz selbstverständlich auch für die Parteiarbeit gelten.

Quoten, Zielvorgaben, freiwillige Einsicht… Benötigt die SPD Instrumente, um mehr Vielfalt im Parteivorstand abzubilden? Wenn ja, welche?

Die wachsende Vielfalt in der Gesellschaft muss sich auch in Führungspositionen der SPD abbilden und aktiv gefördert werden. Sonst verliert die SPD weiter an Glaubwürdigkeit. Freiwilligkeit kann funktionieren, bisherige Erfahrungen geben aber Anlass zur Skepsis. Wenn durch entsprechende Kandidaturen möglich, sollte für jeden Parteivorstand und jede Wahlliste eine Quote für unterrepräsentierte Gruppen festgelegt sein.

Was versteht Ihre unter Diversity-Kompetenz und auf welche Weise wollt Ihr diese in allen Ebenen und Gliederungen der Partei etablieren und fördern?

Die Unterschiedlichkeit von Menschen zu erkennen, sollte nicht dazu führen, Gemeinsamkeiten etwa zwischen Mann und Frau aus dem Blick zu verlieren. Es geht für uns darum, mit Wissen um die verschiedenen Ausgangssituationen und mit Empathie Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit zwischen den einzelnen Gruppen zu erreichen und die sechs Kernpunkte von Diversität zu fördern und zu unterstützen. Aus Sicht der SPD gilt es hier, auch den Aspekt der sozialen Herkunft zu berücksichtigen. Es sollte nicht nur im Sinne von Diversitätsmanagement in Unternehmen der wirtschaftliche Nutzen im Vordergrund stehen. Ein wichtiger Punkt wäre, das Thema in einem neuen Grundsatzprogramm der SPD deutlicher aufzugreifen und mit geeigneten Veranstaltungsformaten ein eigenes "Diversity-Training" zu fördern. Auch die SPD muss beim Thema Vielfalt noch zulegen und ein Mehr an Teilhabe anbieten. Dies sollte auch mit einer Diversitätsquote geschehen.

SPD – die Partei der Einwanderungsgesellschaft

Gerade in den Themenfeldern der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt kochen gesellschaftliche Diskussionen stark hoch. Dabei geht es nicht nur um die Flüchtlingspolitik, sondern auch um Teilhabe und Zugehörigkeit in der Einwanderungsgesellschaft. Die SPD als „Migrantenpartei“ scheint ihre Sprachfähigkeit verloren zu haben, was uns dramatisch fallende Zustimmungswerte in der Zielgruppe der 25% Menschen mit Einwanderungsgesellschaft in Deutschland beweisen. Was sind Eure Ideen, um verlorengegangenes Vertrauen wiederzuerlangen und wieder zur Partei der Einwanderungsgesellschaft zu werden? Folgende Fragen interessieren uns dabei zentral.

Leitkultur, Leitbild, Grundgesetz. Wie sieht die sozialdemokratische Klammer um unsere Gesellschaft aus, wie stärken wir den Zusammenhalt?

Die SPD muss ihr Versprechen erneuern, dass Bildungserfolg und Teilhabe unabhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft, dem Geschlecht, der sexuellen Orientierung und von Behinderung möglich ist. Vor allem Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund können sich auf dieses Versprechen derzeit nicht mehr verlassen.

Das Staatsangehörigkeitsrecht ist ein wichtiger Hebel, um das Zugehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft zu stärken. Wie kann die SPD an die Reformagenda anknüpfen, die sie mit Rot-Grün 1998 begonnen hat?

Die jüngste Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes zeigt einmal mehr die Zwänge der GroKo, von denen sich die SPD umgehend befreien muss, um ein neues rot-rot-grünes Reformbündnis anzustreben.

Was haltet Ihr von einem Ministerium für Migration und Zusammenhalt? Wie sollte man Migration und Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft strukturell neu aufsetzen?

Wir unterstützen einen "Gesellschaftspakt für Vielfalt und Teilhabe", wie ihn die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt beschlossen hat. Das beinhaltet auch, dass Migrations- und Integrationspolitik als eigenständige verantwortliche Abteilung in einem Bundesministerium verankert werden muss.

Die SPD hat mit den beiden letzten Großen Koalitionen viele Kompromisse in der Flüchtlingspolitik schlucken müssen, was die Schmerzgrenze oft genug überschritten hat. Wie wollt Ihr mit diesen Verschärfungen umgehen, wenn die Koalition beendet ist?

Wir fordern, dass nach dem Ende der GroKo in einem rot-rot-grünen Bündnis Beschlüsse zur Verschärfung des Asylrechts geprüft und ggf. revidiert werden. Abschiebehaft etwa ist ein fragwürdiges staatliches Instrument und mit einer humanen Flüchtlingspolitik nicht vereinbar. Die Freiheit des Menschen ist ein Grundrecht, nicht umsonst gibt es enorme rechtliche Hürden für einen Freiheitsentzug. Die Inhaftierung von Menschen, die keine Straftaten begangen haben, und von denen keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, widerspricht den Grundsätzen unserer freiheitlichen Gesellschaft. Ein immer weiteres Einschränken von Freiheitsrechten wird es mit uns nicht geben. Aus diesem Grund haben wir etwa bei dem sog. Abschiebegesetz nicht zugestimmt bzw. mit Nein gestimmt.

Wie sieht ein solidarischer Verteilungsmechanismus von Geflüchteten innerhalb Europas aus?

Nur über eine Ablösung der heutigen Dublin III-Verordnung durch ein auf Quoten ausgerichtetes Aufnahmeverfahren kann europäische Flüchtlingsverantwortung solidarisch und menschenwürdig wahrgenommen und umgesetzt werden.

Dänemark oder Spanien? In der Migrationspolitik.

Die Südländer wie Spanien tragen die größte Last der EU-Migrationspolitik und fühlen sich im Stich gelassen vom Norden Europas. So fährt inzwischen auch Spanien einen restriktiven Kurs gegenüber Flüchtlingen. Entscheidend ist eine Reform der Dublin-Regel. Deutschland und andere Länder müssen vorangehen, eine solidarische Koalition formen und Italien, Spanien und Griechenland Flüchtlinge abnehmen.