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Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans

© Werner Schüring

AG Migration und Vielfalt Videoantwort von Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans

Fragebogen der AG Migration und Vielfalt an die Kandidierenden zum SPD-Parteivorsitz

SPD – eine Partei im Reformmodus

Seit 2009 befindet sich die SPD permanent in der Diskussion um Parteireformen. Essentiell hat sich an unseren Strukturen jedoch wenig getan: beispielswiese wurde der Parteivorstand verkleinert und wieder vergrößert, das Präsidium wurde abgeschafft und dann wieder eingeführt oder der Parteikonvent wurde etabliert und tagt schon eine längere Zeit nicht mehr. Parallel gibt es immer wieder Diskussionen über die Arbeitsgemeinschaften ohne irgendein Ergebnis. Wir sind der Meinung, dass die Kandidierenden auch mit konkreten Forderungen zu Strukturänderungen auch eine Legitimation für ihre Vorstellungen holen sollten. Was sind Eure Vorstellungen zur Parteireform, insbesondere mit Blick auf folgende Fragen?

Welche Rolle haben die Arbeitsgemeinschaften für Euch?

Engagement wird themenbezogener und Menschen mobiler. Wenn es Arbeitsgemeinschaften nicht geben würde, müsste man sie erfinden. Ihr Modell der Einbindung von Engagement und Expertise ist zukunftsweisend, wie themenbezogene Formate insgesamt. Insbesondere für Menschen, die häufig umziehen, bieten sie die Möglichkeit, sich dauerhaft zu ihren Fachthemen und Interessen zu engagieren. Arbeitsgemeinschaften sind ein Reservoir kompetenter Fachleute, deren Wissen wir für die Parteiarbeit besser nutzen sollten als bisher. Bei der Finanzierung müssen wir aber ehrlich sein: Die SPD hat wegen der jüngsten Wahlergebnisse immer weniger Geld zur Verfügung. Deshalb müssen wir uns solidarisch zusammensetzen und über eine gute und gerechte Verteilung der Mittel reden. Auch davon unabhängig bieten die Chancen der Digitalisierung überall in der Partei die Möglichkeit, sich besser zu vernetzen und Synergieeffekte zu nutzen. Klar ist für uns aber, dass wir die Arbeitsgemeinschaften handlungsfähig halten wollen.

Sollten die Arbeitsgemeinschaften eigene Delegierte beim Bundesparteitag bekommen?

Wir sind skeptisch, ob sie dadurch wirklich besser gehört werden. Aber darum muss es gehen, damit sich Arbeitsgemeinschaften wirksam an der Willensbildung in der SPD beteiligen können. Wir halten daher Antrags- und Rederecht auf den Parteitagen, einen klaren Rechtsstatus und eine beratende Mitwirkung in den Vorständen der jeweiligen Ebenen für unerlässlich.

Was haltet Ihr von der Idee, den Arbeitsgemeinschaften ein Mitspracherecht in der Antragskommission zu gewähren, um unnötige Diskussionen vorab zu klären?

Die Antragskommission sollte im Idealfall aus Kennerinnen und Kennern ganz unterschiedlicher Politikfelder bestehen, deshalb wäre eine Einbindung der Arbeitsgemeinschaften klug, wobei die Zusammensetzung der Kommissionen natürlich auch der innerparteilichen Demokratie unterliegt. Aber die Arbeitsgemeinschaften sollten an allen relevanten Entscheidungspunkten eingebunden werden.

Wie wollt Ihr es hinbekommen, dass die relevanten Akteure in den verschiedenen Themenfeldern (von den Arbeitsgemeinschaften bis zu Bundestagsfraktion) zentral orchestriert werden, um mit geteilten Rollen mehr sozialdemokratische Inhalte durchzusetzen?

Ein Patentrezept gibt es da nicht, und wir wollen zudem die Eigenständigkeit der Akteure wahren. Dennoch kann eine gute Rollenaufteilung die Pluralität der Partei positiv hervorheben. Wir brauchen neues Vertrauen, mehr Nachsichtigkeit mit unterschiedlichen Diskussionsbeiträgen und deutlich mehr Austausch zwischen den genannten Gruppen. Das wollen wir unterstützen, indem wir Dialog-Formate fördern und vor allem für ein faires und transparentes Verfahren bei der Entscheidungsfindung sorgen. Nur so entsteht Akzeptanz für Entscheidungen auch bei denen, die am Ende nicht die Mehrheit für sich überzeugen konnten. Die SPD ist eine Debatten-Partei. Das hebt uns wohltuend von anderen ab. Es wäre illusionär und würde unserer gemeinsamen Sache auch nicht dienen, wenn nach einem mehrheitlich gefassten Beschluss nicht mehr weiter diskutiert oder darauf hingewiesen werden dürfte, dass man die Minderheitsmeinung vertreten hat. Entscheidend ist, dass wir das loyal in Anerkennung geltender Beschlüsse tun. Nicht die Lust am streitigen Diskutieren erzeugt ein schlechtes Bild. Das geben wir erst dann ab, wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, das wahre Motiv sei die Befriedigung persönlicher Eitelkeit. Auch wenn eine Frage einmal streitig abgestimmt oder Entscheidungen der Vergangenheit revidiert wurden, müssen sich alle hinterher noch in die Augen sehen und weiter miteinander vertrauensvoll arbeiten können. Das ist nicht nur eine Frage des Vorsitzes – zu einer neuen Diskussions- und Kommunikationskultur müssen wir alle gemeinsam beitragen.

Wie wollt Ihr die inhaltlichen Debatten in der SPD und die Mitgliederbeteiligung stärken? Was sind Eure Ideen hierzu vom Bundesparteitag bis zu Mitgliederbegehren?

Zunächst müssen wir die vorhandenen Regeln zur Abstimmung konsequent und richtig anwenden, was leider zum Beispiel bei Abstimmungen auf Parteitagen nicht immer geschieht. So hat die Antragskommission dort ein Gewicht, das ihr eigentlich nach den Statuten nicht zukommt. Außerdem wollen wir neue Formate wie zum Beispiel Debattencamps aufgreifen und weitentwickeln. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung besser nutzen. Sie wird körperliche Zusammenkünfte nach unserer Überzeugung nicht ersetzen, aber doch sehr sinnvoll ergänzen können. Wichtige Fragen sollten häufiger als in der Vergangenheit auch durch die Mitglieder direkt entschieden werden, wobei wir hier auch Maß halten müssen. Wir müssen zudem die internen Debatten und die Auseinandersetzung mit den politischen Konkurrenten in einem vernünftigen Verhältnis halten. Vor allem sollten wir unsere Beschlüsse dann auch durchsetzen, das erhöht auch den Willen sich an der Findung von Positionen zu beteiligen.

SPD – die Volkspartei, die die ganze Gesellschaft repräsentiert

Jünger, weiblicher UND vielfältiger. Das war eines der oft formulierten Forderungen nach den letzten Wahldebakeln. Denn eine Volkspartei muss die Breite der gesamten Gesellschaft repräsentieren, will sie Volkspartei bleiben. Konkret tat sich bisher jedoch wenig. Der Parteivorstand gab sich eine Zielmarke von 15% Mitgliedern mit Einwanderungsgeschichte in Bundesgremien, welche nie erreicht wurde. Die Bundesregierung ist ziemlich komplett ohne Einwanderungsgeschichte. Was sind Eure Ideen, um die gesamte Vielfalt in der Gesellschaft besser zu repräsentieren, gerade in Bezug auf folgende Fragestellungen?

Welchen Stellenwert hat für Euch in der Parteiarbeit die interkulturelle Öffnung?

Einen hohen! Denn die sozialdemokratische Idee von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ist ein Versprechen für alle und nicht nur für bestimmte privilegierte Gruppen. Es ist egal, wo Du herkommst, entscheidend ist, wo Du hinwillst – das ist Teil des Kerns der sozialdemokratischen Idee. Wenn wir das so wollen, dann müssen wir das auch in unserer Organisation leben und den Anspruch haben, Menschen mit allen kulturellen Hintergründen anzusprechen.

Quoten, Zielvorgaben, freiwillige Einsicht… Benötigt die SPD Instrumente, um mehr Vielfalt im Parteivorstand abzubilden? Wenn ja, welche?

Verbindliche Quoten über die bestehenden hinaus? Nein, weil wir auch aufpassen müssen, dass wir die freie Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten durch Delegierte oder Mitglieder nicht zu stark beschränken – auch das ist innerparteiliche Demokratie. Demgegenüber spricht aber vieles dafür, dass sich Bundespartei und Gliederungen Ziele setzen, die auch messbar sind. Dann müssen auch geeignete Maßnahmen verabredet werden, um diese Ziele zu erreichen. Von Mentoring-Programmen über die gezielte Förderung einzelner Personen über einen intensiven Dialog mit migrantischen Organisationen sind viele konkrete Maßnahmen denkbar, die mehr Vielfalt bewirken.

Was versteht Ihre unter Diversity-Kompetenz und auf welche Weise wollt Ihr diese in allen Ebenen und Gliederungen der Partei etablieren und fördern?

Diversity bedeutet die Anerkennung aller Menschen als ausgestattet mit gleicher Würde und gleichen Rechten und gleich wertvollen Sichtweisen, ungeachtet aller Unterschiede. Der Begriff und das Konzept sind in ihrer konkreten Form vergleichsweise neu, aber der Kern der Idee ist recht alt. Er hat unsere Bewegung von Anfang an begleitet. Diesem Ideal näher zu kommen und jede Diskriminierung zu bekämpfen, ist eine Querschnittsaufgabe. Sie sollte daher in unserer Programmatik und unserer Organisation gleichermaßen Widerhall finden. Alle parteiinternen Schulungen zu allen Themen sollten diesen Aspekt mit umfassen, auch wenn es vordergründig um andere Themen geht.

SPD – die Partei der Einwanderungsgesellschaft

Gerade in den Themenfeldern der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt kochen gesellschaftliche Diskussionen stark hoch. Dabei geht es nicht nur um die Flüchtlingspolitik, sondern auch um Teilhabe und Zugehörigkeit in der Einwanderungsgesellschaft. Die SPD als „Migrantenpartei“ scheint ihre Sprachfähigkeit verloren zu haben, was uns dramatisch fallende Zustimmungswerte in der Zielgruppe der 25% Menschen mit Einwanderungsgesellschaft in Deutschland beweisen. Was sind Eure Ideen, um verlorengegangenes Vertrauen wiederzuerlangen und wieder zur Partei der Einwanderungsgesellschaft zu werden? Folgende Fragen interessieren uns dabei zentral.

Leitkultur, Leitbild, Grundgesetz. Wie sieht die sozialdemokratische Klammer um unsere Gesellschaft aus, wie stärken wir den Zusammenhalt?

Das ist ganz einfach. Das Grundgesetz und unsere Gesetze gelten mit den darin verbürgten Rechten und Pflichten für alle. Sie spiegeln in Vielem auch den erfolgreichen Kampf um die Durchsetzung bürgerlicher Rechte wider, die unser Zusammenleben in den letzten Jahrzehnten bereichert haben. Im Rahmen dieser Gesetze müssen sich alle frei entfalten dürfen. Mehr noch: Auf dieser Grundlage ist unser Land seit jeher durch Zuwanderung kulturell reicher geworden. Es geht nicht um eine Leitkultur gegen kulturelle Einflüsse von außen, es geht um die gemeinsame kulturelle Weiterentwicklung auf der Grundlage gewachsener und nicht selten standhaft errungener gesellschaftlicher Standards wie die Rechte von Frauen oder das Recht, ohne Angst verschieden sein zu können. Menschen, die nicht ausgegrenzt werden, die in Notsituationen abgesichert sind und Chancen bekommen, sich zu entfalten, werden der Gemeinschaft – freiwillig und ohne Zwang – etwas zurückgeben. Das gilt für Menschen, die neu zu uns kommen, im gleichen Maße wie für Menschen, die hier schon lange leben. Alle Untersuchungen und wohl auch unser aller persönliche Erfahrungen zeigen, dass eine Gesellschaft mit gleichen Chancen und einer fairen Vermögensverteilung mit weniger Zwang gut funktionieren. Konservative Fans der „Leitkultur“ setzen statt auf Integration und sozialen Ausgleich auf Zwang und zeigen damit, wie wenig sie den Kern unserer freiheitlichen Verfassung verstanden haben, die um unserer Freiheit willen darauf verzichtet, ihren Bürgerinnen und Bürgern die „richtige“ Gesinnung vorzuschreiben.

Das Staatsangehörigkeitsrecht ist ein wichtiger Hebel, um das Zugehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft zu stärken. Wie kann die SPD an die Reformagenda anknüpfen, die sie mit Rot-Grün 1998 begonnen hat?

Die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft muss für Menschen, die hier lange leben, einfacher möglich sein. Die Möglichkeit der doppelten Staatbürgerschaft sollte generell und ausnahmslos gegeben sein.

Was haltet Ihr von einem Ministerium für Migration und Zusammenhalt? Wie sollte man Migration und Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft strukturell neu aufsetzen?

Die Bedeutung der Aufgabe lässt es sinnvoll erscheinen, das Thema nicht nur inhaltlich aufzugreifen, sondern auch in der Bedeutung und auch in Namen von Ministerien zu verankern, ohne jetzt abschließend benennen zu können, wie der Themenzuschnitt genau aussehen sollte. Die Forderungnach einem Einwanderungsgesetz, das seinen Namen verdient, bleibt richtig. Ansonsten halten wir das Thema „Teilhabe“ für ein umfassendes, das sich auf alle Menschen erstreckt, die hier leben.

Die SPD hat mit den beiden letzten Großen Koalitionen viele Kompromisse in der Flüchtlingspolitik schlucken müssen, was die Schmerzgrenze oft genug überschritten hat. Wie wollt Ihr mit diesen Verschärfungen umgehen, wenn die Koalition beendet ist?

Saskia hat gegen das Gesetz mit dem zynischen Namen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ gestimmt. Wir plädieren für eine regelbasierte Zuwanderungs- und Asylpolitik, die sich aber strikt an rechtsstaatlichen Grundsätzen, dem Asylrecht unserer Verfassung, der Genfer Flüchtlingskonvention und den Menschenrechten orientiert. Hier sind Grenzen überschritten worden, etwa bei der Ausweitung der Gewahrsamshaft, nach der Menschen monatelang eingesperrt werden können, ohne dass sie jemals eine Straftat begangen hätten. Das wollen wir korrigieren – indem wir für neue Mehrheiten jenseits der Konservativen werben und arbeiten.

Wie sieht ein solidarischer Verteilungsmechanismus von Geflüchteten innerhalb Europas aus?

Alle EU-Staaten müssen sich entsprechend ihrer Kapazitäten und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit daran beteiligen, geflüchtete Menschen aufzunehmen. Dabei darf man darauf hinweisen, dass Europa in großer Gefahr ist, wenn einzelnen Ländern der Wille zu dieser Solidarität fehlt. Selbstkritisch müssen wir in Deutschland dabei allerdings auch konstatieren, dass wir die Länder des europäischen Südens viel zu lange – insbesondere vor 2015 – bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen alleine gelassen haben.

Dänemark oder Spanien? In der Migrationspolitik.

Pauschale Aussagen sind immer schwierig. Dänemark und die dänische Sozialdemokratie stehen in Vielem für einen hoch entwickelten Sozialstaat. Ohne Zweifel positiv ist die Aufnahme von Flüchtlingen, die von Hilfsorganisationen im Mittelmeer gerettet wurden. In der aktuellen Migrationspolitik ist Dänemark zurzeit aber kein Vorbild. Wir sollten uns nicht von dem Gedanken leiten lassen, die SPD zu stärken, indem wir die Sozialdemokratie aufgeben. Ob die spanische Migrationspolitik in allen Aspekten vorbildlich ist, wird teilweise bestritten. Das können wir nicht abschließend beurteilen. Aber: Wohl eher mehr Spanien und weniger Dänemark.