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Aktuelles

01.12.2015 | Innen- und Rechtspolitik

Vier Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU: viele offene Fragen und ein erlahmter Reformdiskurs

Beschluss des Bundesvorstandes AG Migration und Vielfalt zum Thema NSU:

Vier Jahre sind seit dem Bekanntwerden des größten Sicherheitsskandals in der Geschichte der BRD vergangen. Und das Kapitel NSU ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse in den Bundesländern arbeiten weiterhin an der Aufarbeitung des staatlichen Versagens und der NSU-Gerichtsprozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Der Untersuchungssauschuss des Deutschen Bundestages hat am 23. August 2013 seine Ergebnisse vorgelegt und Forderungen, welche einen Minimalkonsens aller Parteien darstellen, aufgestellt. Die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses erstreckten sich auf die Bereiche Polizei, Justiz, Verfassungsschutz sowie die staatliche Förderung von Demokratie und zivilgesellschaftlichem Engagement. Um zu beleuchten, welche Forderungen schon erfüllt oder in Angriff genommen wurden und welche nicht, lohnt eine Gegenüberstellung der einzelnen Punkte (siehe Anhang).

Weiterhin sind viele Fragen rund um das Staatsversagen ungeklärt und die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Ausschusses im Bundestag laufen schleppend voran. Währenddessen hat der Bundestag die Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses beschlossen.
Wir erwarten vom neuen Untersuchungsausschuss weitere Aufklärung bei zentralen Fragen, die die Rolle der staatlichen Sicherheitsorgane betreffen. Das Abrutschen in das Klein-Klein bei den Reformdiskussionen in den letzten Jahren und das Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern sind vor dem Hintergrund der NSU-Mordserie und des Ausmaßes des Versagens der Polizei und Verfassungsschutzbehörden des Bundes und mehrerer Länder skandalös. Das enorme Ausmaß des Staatsversagens muss dazu führen, dass die föderalen Strukturen deutlich auf den Prüfstand gestellt werden. Hier muss der neue Untersuchungsausschuss ohne Scheu weitergehende Empfehlungen ausarbeiten.


Für uns stellt sich darüber hinaus weiterhin die Frage, ob die gesellschaftliche Debatte um Rassismus in den staatlichen Sicherheitsorganen zu genüge geführt wurde. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir an dieser Stelle von den Erfahrungen im Ausland lernen sollten. Die in Großbritannien 1997 eingesetzte unabhängige Stephen-Lawrence-Untersuchungskommission, die den rassistischen Mord an Stephen Lawrence untersuchen und generelle Erkenntnisse hinsichtlich der Untersuchung und Verfolgung rassistisch motivierter Straftaten identifizieren sollte, kann ein Beispiel für die Aufarbeitung in Deutschland sein. Wir fordern einen Untersuchungsausschuss mit einer breiten Vertretung aus allen gesellschaftlichen Bereichen.


Bezogen auf die bisherigen Forderungen fordern wir die schnelle und gründliche Umsetzung aller vom Untersuchungsausschuss des Bundes, sowie der Ausschüsse in den einzelnen Ländern aufgestellten Forderungen und eine regelmäßige Evaluierung über den Stand der Umsetzung der abgeschlossenen und begonnenen Maßnahmen.


Vor allem die Umsetzung der Maßnahmen, welche der Erweiterung der Interkulturellen Kompetenz bei den Mitarbeitern der Sicherheitsorgane dienen sollen, müssen schneller und effektiver umgesetzt werden. Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte bei Polizei, Justiz und den Diensten muss auch durch die Ermöglichung von Quereinstiegen erhöht werden. Vor allem in den östlichen Bundesländern gibt es an diesen Stellen akuten Nachholbedarf. Der notwendige Mentalitätswechsel gerade in den Verfassungsschutz-Ämtern sollte u.a. durch ständige Statusberichte dokumentiert bzw. abgefragt werden. Der Blick der Öffentlichkeit ist gerade bei der Frage eines Mentalitätswandels dringend notwendig.


Die extrem hohen Zahlen von Übergriffen auf Geflüchtete, Aktivist_innen, Helfer_innen, Politiker_innen und Unterkünfte für Zufluchtsuchende zeigen, dass alle Maßnahmen noch ausbaufähig sind. Die niedrige Aufklärungsquote rechtsmotivierter Straftaten ist erschreckend. Die Sensibilisierung für das Thema Rechtsextremismus ist noch nicht bei jeder Polizeieinheit angekommen. Dies muss sich dringend ändern. Hier stehen wir für ein striktes Verbot von Racial Profiling.


Auch der Umgang mit Opfern rechter Gewalt und rechtsorientierter Straftaten ist noch nicht befriedigend. So fehlt es in den meisten Fällen an einer Beratung der Opfer über Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen. Die Betroffenen werden vom Staat noch zu oft mit ihrem Schicksal alleine gelassen.
Demokratieförderung ist für uns nicht ausschließliche Aufgabe des Ehrenamtes. Wichtig ist diesen Bereich in den Bildungsplänen der Länder ab Vorschulalter und bis zur Berufsbildung fest zu verankern und personell zu untersetzen. Aber auch das in Deutschland nicht wegzudenkende Engagement der vielen Ehrenamtlichen muss noch stärker gefördert werden. Dabei sind Hürden für die Beantragung von Fördergeldern, wie zum Beispiel das Bestehen als Verein, weiter abzubauen. Viele Initiativen oder Aktionsnetzwerke agieren nicht als Vereine, leisten aber eine enorm wichtige Aufgabe in den Bereichen Aufklärung, Prävention und dem aktiven Kampf gegen rechten Extremismus.


Beschlossen am 29. November 2015 in Frankfurt am Main

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