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Klara Geywitz & Olaf Scholz

© Werner Schüring

AG Migration und Vielfalt Videoantwort Klara Geywitz & Olaf Scholz

Fragebogen der AG Migration und Vielfalt an die Kandidierenden zum SPD-Parteivorsitz

SPD – eine Partei im Reformmodus

Seit 2009 befindet sich die SPD permanent in der Diskussion um Parteireformen. Essentiell hat sich an unseren Strukturen jedoch wenig getan: beispielswiese wurde der Parteivorstand verkleinert und wieder vergrößert, das Präsidium wurde abgeschafft und dann wieder eingeführt oder der Parteikonvent wurde etabliert und tagt schon eine längere Zeit nicht mehr. Parallel gibt es immer wieder Diskussionen über die Arbeitsgemeinschaften ohne irgendein Ergebnis. Wir sind der Meinung, dass die Kandidierenden auch mit konkreten Forderungen zu Strukturänderungen auch eine Legitimation für ihre Vorstellungen holen sollten. Was sind Eure Vorstellungen zur Parteireform, insbesondere mit Blick auf folgende Fragen?

Welche Rolle haben die Arbeitsgemeinschaften für Euch?

Die Arbeitsgemeinschaften sind wichtig für das Selbstverständnis der SPD als Volkspartei und für die Entwicklung sozialdemokratischer Politik – und zwar in zwei Richtungen: Einerseits für die Bindung gesellschaftlicher Gruppen an die SPD und die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen – auch von Nichtparteimitgliedern – an der Entwicklung sozialdemokratischer Politik. Andererseits für die Vermittlung sozialdemokratischer Politik in den Zielgruppen.

Die Arbeitsgemeinschaften leisten mit der besonderen Expertise der dort versammelten Fachleute einen wertvollen Beitrag dafür, dass Anliegen wichtiger Zielgruppen der SPD in die Parteiarbeit einfließen.

Sollten die Arbeitsgemeinschaften eigene Delegierte beim Bundesparteitag bekommen?

Was haltet Ihr von der Idee, den Arbeitsgemeinschaften ein Mitspracherecht in der Antragskommission zu gewähren, um unnötige Diskussionen vorab zu klären?

Wie wollt Ihr es hinbekommen, dass die relevanten Akteure in den verschiedenen Themenfeldern (von den Arbeitsgemeinschaften bis zu Bundestagsfraktion) zentral orchestriert werden, um mit geteilten Rollen mehr sozialdemokratische Inhalte durchzusetzen?

Wie wollt Ihr die inhaltlichen Debatten in der SPD und die Mitgliederbeteiligung stärken? Was sind Eure Ideen hierzu vom Bundesparteitag bis zu Mitgliederbegehren?

Uns ist es wichtig, dass in der SPD auf allen Ebenen wieder die relevanten Diskussionen stattfinden. Also die Debatten, bei denen es um die Zukunft unseres Landes und unserer Gesellschaft geht. Wir haben so viele großartige Mitglieder mit so unterschiedlichen Lebenswegen und Erfahrungen. Deshalb brauchen wir neben den Ortsvereinen Angebote, bei denen das in der Partei möglich ist. Das sind auch die Arbeitsgemeinschaften. Auch die Debattencamps, die der Parteivorstand und das Willy-Brandt-Haus in Berlin und ein paar anderen Orten organisiert haben, zeigen, wie eine gute Beteiligung gelingen kann. Wir wollen, dass so etwas künftig häufiger geschieht.

Entscheidend ist, dass wir in den Gremien der SPD tatsächlich miteinander diskutieren.Auf Parteitagen oder in Vorstandssitzungen darf nicht lediglich das besprochen werden, was eh‘ schon in der Zeitung steht.

Organisationsfragen müssen geklärt werden. Die organisationspolitische Kommission hat dazu unter Einbeziehung der Landesverbände und Bezirke (und der Arbeitsgemeinschaften) seit dem letzten ordentlichen Parteitag Vorschläge diskutiert und Vorschläge entwickelt. Die sollten wir nun – wie vom Parteitag beschlossen – miteinander beraten und dann entscheiden. Dazu brauchen wir den Dialog – und keine Festlegungen „von oben“.

Von eigenen Delegierten der Arbeitsgemeinschaften sind wir nicht überzeugt. Das würde das Prinzip der Herkunft der Delegierten aus der regionalen Struktur der Partei in Frage stellen.

SPD – die Volkspartei, die die ganze Gesellschaft repräsentiert

Jünger, weiblicher UND vielfältiger. Das war eines der oft formulierten Forderungen nach den letzten Wahldebakeln. Denn eine Volkspartei muss die Breite der gesamten Gesellschaft repräsentieren, will sie Volkspartei bleiben. Konkret tat sich bisher jedoch wenig. Der Parteivorstand gab sich eine Zielmarke von 15% Mitgliedern mit Einwanderungsgeschichte in Bundesgremien, welche nie erreicht wurde. Die Bundesregierung ist ziemlich komplett ohne Einwanderungsgeschichte. Was sind Eure Ideen, um die gesamte Vielfalt in der Gesellschaft besser zu repräsentieren, gerade in Bezug auf folgende Fragestellungen?

Welchen Stellenwert hat für Euch in der Parteiarbeit die interkulturelle Öffnung?

Die SPD ist die Partei der Vielfalt und des Zusammenhalts. Hier hat jeder und jede Platz, ungeachtet seiner oder ihrer Herkunft, Weltanschauung oder sexuellen Orientierung. Wir machen Politik für alle Bürgerinnen und Bürger. Diesen Anspruch verkörpert die SPD dann glaubhaft, wenn sie attraktive Angebote zur Mitarbeit für alle macht. Auch kulturelle Vielfalt muss sich in den Angeboten und Gremien der Partei abbilden.

Klara: Ich bin ja als Ostdeutsche erst 1989 in die Bundesrepublik gekommen, und obwohl ich da erst 13 Jahre alt war und keinerlei Sprachhürde zu überwinden hatte, war es doch schwierig, von einem Staat in den nächsten zu kommen – selbst wenn man sich geographisch nicht verändert! Deswegen habe ich hohen Respekt vor denjenigen, die zu uns kommen und beruflich neu anfangen oder eine neue Sprache erlernen müssen. Die Wertschätzung für diese riesige Integrationsleistung ist manchmal sehr gering. Das muss sich ändern. Mein Anliegen ist daher, dass wir ins Gespräch kommen. Das habe ich in meinem Wahlkreis auch ganz praktisch umgesetzt: Gespräche von Menschen mit Migrationshintergrund zusammen mit Menschen aus Ostdeutschland. Da entdecken Ostdeutsche und Migranten oft ganz ähnliche Wahrnehmungen: wie sie sich besonders anstrengen, aber immer wieder kleine Zeichen bekommen, dass du dich nicht auf Augenhöhe stehst. Wir müssen es schaffen, dass wir die eigene Leistung von Menschen, die sich hier in die Gesellschaft einbringen, wieder stärker in den Fokus kriegen.

Olaf: Das sehe ich auch so. Ich habe in meiner Zeit als Landesvorsitzender der SPD in Hamburg daher dafür gesorgt, dass Leute mit Einwanderungsgeschichte in die Parlamente kamen. So etwa Aydan Özoguz, die wir damals noch als Nicht-Mitglied für die Bürgerschaft, unser Landesparlament, aufgestellt haben. Heute ist sie – wie Ihr wisst – Mitglied des Präsidiums und war stellvertretende Vorsitzende der SPD. Aber das geht weit über die SPD hinaus. Mir ist es wichtig, dass die Wertschätzung gegenüber den unterschiedlichen Herkünften und Hintergründen auch einen Ausdruck findet. Als Hamburger Bürgermeister habe ich daher alle Stadtbewohner, die schon seit 8 Jahren in Deutschland lebten, aber keinen deutschen Pass hatten, persönlich angeschrieben und eingeladen, Deutsche zu werden. Das waren über 150.000. Im Hamburger Rathaus haben wir dann im schönsten Saal die Einbürgerungsfeiern durchgeführt. Diese Feiern gehören für mich zu den schönsten und bewegendsten Momenten in der Politik.

Quoten, Zielvorgaben, freiwillige Einsicht… Benötigt die SPD Instrumente, um mehr Vielfalt im Parteivorstand abzubilden? Wenn ja, welche?

Wir wissen, dass es durchaus Instrumente brauchen kann, um den Anspruch nach Repräsentanz und Vielfalt Realität werden zu lassen. Die SPD hat deshalb die Geschlechterquote eingeführt und war in Brandenburg Vorreiterin für ein Paritätsgesetz. Wir möchten mit der ganzen Partei beraten, wie wir die Vielfalt unserer Mitglieder auf allen Ebenen der Partei, auch im Parteivorstand, noch besser abbilden können. Das müssen nicht immer Quoten in der Satzung sein, dass kann auch das Ergebnis politischer Verabredung sein.

Was versteht Ihre unter Diversity-Kompetenz und auf welche Weise wollt Ihr diese in allen Ebenen und Gliederungen der Partei etablieren und fördern?

Wir verstehen Diversity-Kompetenz als die Fähigkeit, Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Alters, einer Behinderung, ihrer Hautfarbe usw. mit einer offenen und wertschätzenden Haltung zu begegnen. Für die SPD bedeutet das, unsere Mitglieder und Unterstützer*innen mit ihren vielfältigen Geschichten, Fähigkeiten sowie beruflichen, kulturellen, familiären und religiösen Hintergründen auf allen Ebenen der Parteiarbeit zu beteiligen. Dieser Anspruch sollte auf allen Ebenen der Partei gelebte Normalität sein. Wir werden für ihn werben und wo nötig Unterstützung anbieten.

SPD – die Partei der Einwanderungsgesellschaft

Gerade in den Themenfeldern der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt kochen gesellschaftliche Diskussionen stark hoch. Dabei geht es nicht nur um die Flüchtlingspolitik, sondern auch um Teilhabe und Zugehörigkeit in der Einwanderungsgesellschaft. Die SPD als „Migrantenpartei“ scheint ihre Sprachfähigkeit verloren zu haben, was uns dramatisch fallende Zustimmungswerte in der Zielgruppe der 25% Menschen mit Einwanderungsgesellschaft in Deutschland beweisen. Was sind Eure Ideen, um verlorengegangenes Vertrauen wiederzuerlangen und wieder zur Partei der Einwanderungsgesellschaft zu werden? Folgende Fragen interessieren uns dabei zentral.

Leitkultur, Leitbild, Grundgesetz. Wie sieht die sozialdemokratische Klammer um unsere Gesellschaft aus, wie stärken wir den Zusammenhalt?

Basis und Klammer für das Zusammenleben in Deutschland bilden unsere Verfassung und unsere Rechtsordnung. Die dort normierten Rechte (und Pflichten) gelten für alle in unserem Land. Leitbild unseres politischen Handels sind immer die sozialdemokratischen Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität.

Den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land stärken wir durch gute Politik, die den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit gibt, dass jeder und jede hier gut aufgehoben ist, wertgeschätzt wird, teilhaben kann am gesellschaftlichen Leben und eine guten Zukunft in diesem Land hat. Und wir stärken sie jeden Tag durch unser Handeln und unsere Sprache, indem wir zusammenführen, den Ausgleich suchen und niemanden gegeneinander ausspielen, wie es die Populisten tun.

Das Staatsangehörigkeitsrecht ist ein wichtiger Hebel, um das Zugehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft zu stärken. Wie kann die SPD an die Reformagenda anknüpfen, die sie mit Rot-Grün 1998 begonnen hat?

Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in der rot-grünen Bundesregierung wurde das bis dahin prägende Bild vom „Deutschsein“ überwunden. Seither entscheidet über die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr nur die Abstammung, sondern auch die Geburt in Deutschland. Die weitgehende Abschaffung der Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder in der vorigen Großen Koalition war ein ganz großer Fortschritt für Integration und Zusammenhalt in Deutschland. Denn die deutsche Staatsbürgerschaft ist sicherlich das stärkste Bekenntnis zu Deutschland und zu Demokratie und Rechtsstaat. Wer als Zugewanderter deutscher Staatsbürger werden möchte, bekennt seinen Willen, in einer freiheitlichen und solidarischen Gesellschaft zu leben, in der alle Menschen gleichberechtigt sind, ihre Würde unantastbar ist und sich alle frei entfalten können. In Hamburg und Brandenburg haben wir daher Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund eingeladen, deutsche Staatsbürger zu werden – und wir haben das gefeiert. Unser Anspruch muss sein, dass die SPD erster Ansprechpartner für das Thema Integration ist.

Etwa die Hälfte der Eingebürgerten behält heute schon die bisherige Staatsbürgerschaft. Früher oder später wird es sicher so sein, dass jede und jeder selbst entscheidet, ob sie oder er an der weiteren Staatsbürgerschaft festhält. Zwar können mit der Mehrstaatigkeit völkerrechtliche Nachteile verbunden sein, weil Deutschland einen Staatsbürger in dem Land, für das er einen zweiten Pass besitzt, nicht wirksam vertreten kann. Das Beispiel vieler anderer Staaten, die weniger Schwierigkeiten mit der Hinnahme von Mehrstaatigkeit haben, zeigt aber, das unserem Land hier eine souveränere Haltung gut täte.

Was haltet Ihr von einem Ministerium für Migration und Zusammenhalt? Wie sollte man Migration und Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft strukturell neu aufsetzen?

Wir leben in einer modernen, vielfältigen Gesellschaft, in der Einwanderung seit Jahrzehnten gelebte Normalität und Realität ist. Diese Tatsache könnte in den Zuschnitten und Zuständigkeiten der Bundesressorts angemessener abgebildet werden. Dazu könnte auch gehören, dass die Zuständigkeiten für Migration- und Integrationspolitik in einem Ministerium gebündelt werden. Entscheidend ist aber, dass Integration, Partizipation und interkulturelle Offenheit – unabhängig von Ressortzuständigkeiten – gelebte Normalität in Staat und Gesellschaft werden.

Die SPD hat mit den beiden letzten Großen Koalitionen viele Kompromisse in der Flüchtlingspolitik schlucken müssen, was die Schmerzgrenze oft genug überschritten hat. Wie wollt Ihr mit diesen Verschärfungen umgehen, wenn die Koalition beendet ist?

Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik mit klaren Regeln und für eine moderne Einwanderungspolitik. Wir sehen die getroffenen Vereinbarungen nicht so kritisch wie Ihr: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und den Regelungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung haben wir die größte Reform unseres Einwanderungsrechts erreicht und endlich Regeln für die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte durchgesetzt. Im Bereich Fluchtmigration garantieren wir denjenigen Schutz, die Schutz brauchen. Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass diejenigen, die hier sind, schnell integriert werden. Daher eröffnen wir Geflüchteten frühzeitig und umfassend den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen und zum Arbeitsmarkt. So können sie früh Deutsch lernen, arbeiten gehen oder eine Ausbildung beginnen. Damit ebnen wir ihnen den Weg, integrierter Teil unserer Gesellschaft zu werden. Das sind große Erfolge der SPD in der aktuellen Koalition.

Wie sieht ein solidarischer Verteilungsmechanismus von Geflüchteten innerhalb Europas aus?

Das ist eine der schwierigsten Fragen in der Europäischen Union. Denn wir können unsere Vorstellungen von einem fairen und solidarischen Verteilmechanismus nicht im Alleingang durchsetzen. Klar ist, dass wir eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik brauchen – zu fairen Bedingungen für alle EU-Staaten sowie für die Migrantinnen und Migranten. In der Bundesregierung hat die SPD die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Die heutigen Regeln sind nicht fair. Sie müssen daher reformiert werden. Wir haben im Sommer 2018 als Partei unsere Vorstellungen in einem einstimmigen Beschluss des Parteivorstandes, dem wir angehören, festgelegt. Ein solidarischer und verlässlicher Verteilmechanismus könnte bestimmte Kriterien wie Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt berücksichtigen. Die jahrelangen Verhandlungen zu einer vernünftigen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müssen wir gemeinsam mit unseren Verbündeten in der EU zu einem guten Abschluss bringen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 bietet dazu eine besondere Möglichkeit.

Dänemark oder Spanien? In der Migrationspolitik.

Weder, noch. Die SPD darf niemals Ressentiments bedienen. Die SPD hat eigene Vorstellungen für eine moderne und humane Migrations- und Asylpolitik, die wir in Deutschland und Europa umsetzen wollen. Olaf hat seine Gedanken dazu schon im März 2014 in einer Rede in Hamburg formuliert: „Hamburg, Europa und die Grenzen“ – Ihr findet sie im Netz unter https://www.hamburg.de/buergermeister-reden/4285446/2014-03-19-grundsatzrede-thalia/. In seinem Buch „Hoffnungsland“ hat er die Vorstellungen zu einer modernen, sozialdemokratischen Migrationspolitik weiter ausformuliert.

Klara sagt: Unsere Politik orientiert sich immer an den Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Das gilt auch und gerade in den Fragen der Migrationspolitik.